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Disziplinarrecht: Bindungswirkung von Strafbefehlen?

Unterschied zwischen Urteil eines Strafgerichts und Strafbefehl


Sie kennen sicher die unterschiedlichen Abläufe eines Strafverfahrens: Nach einer mündlichen Verhandlung ergeht in den meisten Fällen ein Urteil, aber es gibt auch das (schriftliche) Strafbefehlsverfahren, welches ohne mündliche Verhandlung durchgeführt werden kann.

Strafbefehle bzw. die in ihnen enthaltenen Feststellungen zum Sachverhalt haben nicht unmittelbar eine bindende Wirkung für das Disziplinarverfahren. Treten Sie aber den Feststellungen des Strafbefehls im späteren Disziplinarverfahren nicht substanziiert entgegen, so können die Disziplinargerichte auch die Feststellungen des Strafbefehls unter bestimmten Voraussetzungen zugrunde legen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zu diesen Fragen im Zusammenhang mit dem Wehrdiesziplinarrecht geäußert, wir stellen einen Auszug vor. Die Ausführungen erscheinen uns recht klar.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.01.23 - BVerwG 2 WD 4.22 -

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.01.23 - BVerwG 2 WD 4.22  -

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1. ...
a) Der Senat war nicht an die ihr entsprechenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl vom 26. April 2019 gebunden. Denn der Strafbefehl ist kein Urteil i. S. d. § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO.
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Zwar können nach § 84 Abs. 2 WDO auch die in einem Strafbefehlsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 08. Juli 2021 - 2 WD 22.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 95 Rn. 13 m. w. N.). Die Möglichkeit der Übernahme von Tatsachenfeststellungen in einem Strafbefehl ohne weitere Beweiserhebung endet aber, wenn die Indizwirkung des Strafbefehls entkräftet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2019 - 2 WD 26.18 - Buchholz 449 § 23 SG Nr. 3 Rn. 17 m. w. N.). Dafür müssen die Tatsachenfeststellungen substantiiert in Zweifel gezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 07. März 2019 - 2 WD 11.18 - BVerwGE 165, 53 Rn. 13 m. w. N.). Die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen dürfen nicht überspannt werden. Es genügt, wenn erhebliche Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2022 - 2 BvR 1232/20 - juris Rn. 23 m. w. N. zum Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung).
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Dies hat der Soldat getan. Er hat sich dahingehend eingelassen, dass er den Laptop vor seiner Verlegung nach B Anfang November 2018 ohne Zueignungsabsicht als "Back-Up" in die Einsatzkiste gepackt habe, die Kiste nach seiner Rückkehr aus B stressbedingt in C abgestellt habe, ohne ihren Inhalt nachzubereiten, und sie unmittelbar vor seinem Rückflug nach Deutschland am 27.11.18 nur noch einmal kurz geöffnet habe. Er habe darin noch schnell diejenigen Sachen, die er getragen habe und die nicht mehr in seine beiden anderen Kisten gepasst hätten, verstaut, ohne sich des Laptops bewusst gewesen zu sein. Erst in Deutschland sei er auf telefonischen Vorhalt des Zeugen E, dass der Laptop in C unauffindbar sei, zu dem Schluss gekommen, dass er in der B-Einsatzkiste sein könnte.
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Diese Einlassung ist hinreichend plausibel, um eine erneute Tatsachenprüfung vorzunehmen, obwohl der Soldat gegen den Strafbefehl - nach eigenen Angaben aus prozesstaktischen Gründen - nicht vorgegangen ist. Der Soldat hat an seiner Einlassung im gesamten Disziplinarverfahren konstant und in sich widerspruchsfrei festgehalten und hatte sich so auch schon im Strafverfahren eingelassen. Der Senat hält den vom Soldaten behaupteten Geschehensablauf angesichts der von ihm geschilderten Stressfaktoren in dem Auslandseinsatz für möglich. Dafür sprechen seine allgemeine Überlastung, die fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten in B, der zeitgleiche Ausfall der Antennenanlage in C, um die er sich direkt nach seiner Rückkehr aus B kümmern musste, sowie die Unwägbarkeiten betreffend seinen Nachfolger und die Konzentration der Gedanken auf die bevorstehende Rückkehr zu seiner Ehefrau und den Kindern in Deutschland. Auch angesichts dessen, dass es sich um einen gebrauchten und in C im sogenannten schmutzigen Internet verwendeten Laptop handelte, der Soldat privat bereits über ein baugleiches Gerät verfügte, die Ausfuhr von Laptops im unbegleiteten Gepäck wegen der Akkus untersagt war und der Soldat mit einer Durchleuchtung des Gepäcks rechnen musste, erscheint es nicht abwegig, dass er den Laptop in der Einsatzkiste schlicht vergessen hat.
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b) Nach der erneuten Prüfung steht der Hauptvorwurf nicht zur Überzeugung des Senats fest.
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Gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 261 StPO hat der Senat über das Ergebnis seiner Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung des Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen (BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2019 - 2 WD 16.18 - juris Rn. 14).
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Ein solches Maß an Sicherheit hat der Senat hinsichtlich des Hauptvorwurfs, dass der Soldat den Laptop zwischen dem 21. und 27.11.18 - also nach seiner am 07.11.18 erfolgten Rückkehr aus B - mit Zueignungsabsicht in der Kiste verstaute, nicht gewinnen können. Denn es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Laptop zwischen dem 07.11.18 und dem Rückflug des Soldaten nach Deutschland am 27.11.18 zu irgendeinem Zeitpunkt außerhalb der Einsatzkiste befand, die der Soldat nach seinen unwiderlegten Angaben mit in B hatte.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.06.15 - 2

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.06.15 - 2 B 31.14 -

1 Die auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 66 Abs. 1 des Thüringer Disziplinargesetzes - ThürDG -) ist unbegründet.

2 1. Der 1953 geborene Beklagte stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand zum Februar 2014 als Polizeihauptmeister im Dienst des Klägers. Mitte 2010 verurteilte das Amtsgericht den Beklagten durch Strafbefehl wegen Verfolgung Unschuldiger, Betruges, Körperverletzung im Amt und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten. Das Amtsgericht legte den folgenden Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte habe im Juli 2009 außerhalb des Dienstes bei einer Fahrt auf der Autobahn mit seinem privaten Pkw einen polnischen Staatsangehörigen angehalten und habe gegen diesen eine Verwarnung von 100 € mit der unwahren Begründung ausgesprochen, der Fahrzeugführer sei nicht angeschnallt gewesen und sei zu schnell gefahren. Anschließend habe er gegenüber dem Vater des Fahrzeugführers vorgetäuscht, dass dieser einen Verkehrsverstoß begangen habe, sodass der Vater dem Beklagten irrtümlicherweise 80 € und 100 Zloty ausgehändigt habe. Zudem habe der Beklagte den Vater des Fahrzeugführers durch einen Biss in den Unterarm verletzt, als dieser Fahrzeugpapiere und Ausweisdokumente sowie die Geldscheine zurückverlangt habe, und habe anschließend mit seiner Dienstwaffe aus einer Entfernung von 30 cm auf dem Kopf des Vaters des Fahrzeugführers gezielt.

3 Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

4 Der Beklagte habe vorsätzlich ein schwerwiegendes, aus vier innerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen bestehendes Dienstvergehen begangen, das zur endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn geführt habe. Zwar entfalte ein rechtskräftiger Strafbefehl für das Disziplinarverfahren keine Bindungswirkung. Die tatbestandlichen Feststellungen des Strafbefehls könnten aber der disziplinarrechtlichen Würdigung ohne nochmalige Prüfung durch das Gericht zugrunde gelegt werden. Die Feststellungen beruhten auf dem dem Strafbefehl zugrunde liegenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und damit einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren. Der Beklagte habe gegen diese Feststellungen keine substanziierten Einwendungen erhoben. Zudem komme dem Strafbefehl, den der Beklagte habe rechtskräftig werden lassen, Indizwirkung zu.

5 2. Der Beklagte rügt zu Unrecht, dass das Oberverwaltungsgericht dem Disziplinarverfahren die im Strafbefehl zusammengefassten Feststellungen ohne nochmalige eigene Prüfung zugrunde gelegt und von einer Beweisaufnahme, insbesondere durch die Vernehmung des Fahrers und des Beifahrers zum Verhalten des Beklagten anlässlich des Vorfalls vom Juli 2009, abgesehen hat.

6 Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für die Disziplinarorgane bindend. Diese Regelung ist hier nicht anwendbar, weil ein rechtskräftiger Strafbefehl insoweit einem rechtskräftigen Urteil im Strafverfahren nicht gleichgestellt ist (BVerwG, Urteil vom 29.03.12 - 2 A 11.10 - Rn. 37).
Nach § 16 Abs. 2 ThürDG sind die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bindend, können aber der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Hiermit wird dem Anliegen, divergierende Entscheidungen von Straf- und Disziplinargerichten über dieselbe Tatsachengrundlage nach Möglichkeit zu vermeiden, Rechnung getragen (BVerwG, Beschluss vom 15.03.13 - 2 B 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 14).


7 Wegen des im Wortlaut angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnisses und des systematischen Zusammenhangs mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 und § 60 Abs. 2 Satz 1 ThürDG ist für die Anwendung des § 16 Abs. 2 ThürDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tatsachen vom Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht substanziiert angezweifelt wird (BVerwG, Urteil vom 29.03.12 - 2 A 11.10 - Rn. 39 und Beschlüsse vom 04.09.08 - 2 B 61.07 -, vom 27.10.08 - 2 B 48.08 - Rn. 3 und zuletzt vom 26.09.14 - 2 B 14.14 - Rn. 10 m.w.N.). Das pauschale Vorbringen des Beamten, der festgestellte Sachverhalt entspreche nicht dem tatsächlichen Geschehensablauf, reicht nicht aus. Erforderlich ist eine von den gerichtlich getroffenen Feststellungen abweichende Schilderung des Lebens­sachverhalts, die plausibel und nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist.

8 In der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht aufgrund des Vorbringens des Beklagten im Disziplinarverfahren nach den dargestellten Grundsätzen zu § 16 Abs. 2 ThürDG gehindert war, im Disziplinarverfahren von dem Sachverhalt auszugehen, der in dem dem Strafbefehl zugrunde liegenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren festgestellt worden ist. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Beklagte diese Feststellungen substanziiert angezweifelt hat.

9 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Beklagte zentral, dass das Berufungsurteil ergangen sei, ohne dass zuvor eine nach seiner Ansicht erforderliche Beweis­aufnahme durchgeführt worden sei. Insbesondere seien die Zeugen A. ... und S. zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen vom Oberverwaltungsgericht nicht vernommen worden.
Diese Verfahrensrüge geht ins Leere, weil der Beklagte vor dem Oberverwaltungsgericht keine entsprechenden förmlichen Beweisanträge gestellt hat.
Von Amts wegen hat sich dem Oberverwaltungsgericht eine Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung nicht aufdrängen müssen, weil mangels substanziierter Angriffe und ebensolcher Darstellung eines abweichenden Geschehensablaufs seitens des Beklagten keine hinreichenden objektiven Anknüpfungspunkte für die vom Beklagten nunmehr vermisste Beweis­aufnahme erkennbar waren. Die vom Beklagten nunmehr verlangte Beweiserhebung wäre deshalb ins Blaue hinein gerichtet und daher unzulässig gewesen.

10 Vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Beklagte zwar zur Sache ausgesagt. Auch hat er dort eingeräumt, dass der von ihm geforderte Verwarngeldbetrag von 100 € überhöht war. Gegen die Richtigkeit seiner Darstellung, er habe die Verwarngelder für seinen Dienstherrn vereinnahmen wollen, spricht der Umstand, dass der Beklagte nicht den für das Verwarngeld vorgesehenen Vordruck ausgefüllt und Zug um Zug gegen Entgegennahme des Geldes ausgehändigt hat. Ferner spricht gegen die Glaubhaftigkeit ...
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